Der Vagusnerv ist der zehnte von zwölf Hirnstammnerven und die heimliche Schaltstelle des menschlichen Nervensystems. Mit Ausnahme des Riechnervs und des Sehnervs entspringen alle Hirnnerven im Stammhirn an der Basis des Gehirns. Der Vagus reguliert das autonome Nervensystem, also jenen Teil, der nicht bewusst kontrolliert und gesteuert werden kann, und damit die Aktivität aller inneren Organe. Treten Probleme in diesen Organen auf, so können sie ihre Ursache durchaus in einer Störung des Vagus haben. Wenn seine Funktion gestört ist, kann sich der Körper nicht mehr von Stress erholen. Symptome wie Verdauungsbeschwerden und Übelkeit oder Herz-Rhythmus-Störungen und sogar Depression und Burn-out sind die Folge.
Die neuere Polyvagal-Theorie (von griech. Poly für „viele“ und Vagus für den Hirnnerv) geht davon aus, dass der Vagus zwei Äste mit unterschiedlichen Nervenkreisläufen besitzt: den vorderen Ast für Entspannung und soziale Zugewandtheit und den des Sympathikus für Kampf- oder Fluchtverhalten sowie den hinteren Ast für depressives Verhalten. Diese Kreisläufe hängen somit nicht nur mit dem Zustand der inneren Organe zusammen, sondern auch mit Verhalten und emotionaler Verfassung.
Bestsellerautor und Körpertherapeut Stanley Rosenberg erkannte in jahrzehntelanger Praxiserfahrung die Bedeutung des Vagus und seiner Äste. Ein blockierter Vagus blockiert den ganzen Menschen. So entstehen nicht nur Migräne und Rückenschmerzen, sondern auch Ängste und Depressionen. In seiner Therapiearbeit konnte der Autor zudem eine Verbindung zwischen einem gestörten Vagus und autismusbedingtem Verhalten herstellen.
Er erklärt zunächst sehr anschaulich und allgemeinverständlich die physiologischen Zusammenhänge des Vagus und seine essenzielle Bedeutung für unser Nervensystem und stellt dann im praktischen Teil acht einfache Übungen vor, mit denen sich der Vagusnerv aktivieren lässt und eventuelle Blockaden gelöst werden können.
Wenngleich Stanley Rosenbergs Erkenntnisse noch längst nicht in jeder Praxis angekommen sind, so zeigen aktuelle Studien eine noch weit darüber hinausgehende Bedeutung:
Diese deuten darauf hin, dass neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer mit ihren weitgehenden Lern- und Gedächtnisstörungen zumindest teilweise durch eine dysfunktionale Vagusachse zwischen Darm und Gehirn verursacht zu werden scheinen. Die zum Hirn aufsteigende Achse signalisiert dem Gehirn „kontinuierlich den metabolischen und physiologischen Zustand mehrerer peripherer Organe (z. B. Lunge, Herz, Darm).“
Er scheint kognitive Prozesse zu modulieren und deutet auch auf mögliche Therapien wie Neuromodulation: „Tatsächlich erleichtert die elektrische Stimulation des Vagusnervs Verhaltenslern- und Gedächtnisfunktionen… fördert die hippocampale Neurogenese und mit der Plastizität verbundene Funktionen… Darüber hinaus haben einige, aber bahnbrechende neuere Artikel auch gezeigt, dass die Störung der Vagusachse, insbesondere im Darm-Hirn-Abschnitt, zu Beeinträchtigungen einiger Formen des hippocampalen Gedächtnisses sowie zu zellulären und molekularen Anpassungen führt…“
Fazit: Gerade im Hinblick auf neuere Erkenntnisse der Neuromodulation lohnt es sich, dieses Buch zu lesen und die Übungen auszuprobieren.