Das menschliche Gehirn besitzt lebenslang die Fähigkeit seine Struktur durch Aktivität zu verändern. Lange glaubte man in der Wissenschaft, dass sich das Gehirn nach Ausreifen etwa Mitte 20 nur noch in eine Richtung entwickelt: abwärts. Doch auch heute ist noch weitgehend unbekannt, dass das Gehirn wie jeder andere Muskel trainiert werden kann.
Norman Doidges Geschichten über die Reparaturmechanismen des Gehirns sind faszinierend anschaulich und wurden prämiiert als das beste Sachbuch aller Zeiten über das Gehirn.
Es sind spannende Berichte über Menschen mit gravierenden Einschränkungen: Schlaganfallpatienten, die lernten ihre gelähmten Körperteile wieder zu gebrauchen, indem ihre „guten“ Hände mit Fäustlingen stillgelegt wurden. Menschen mit unterentwickelten Gehirnarealen, die lernten ihre Defizite über andere Gehirnteile zu kompensieren. Eine Frau, die von Geburt an nur über eine voll entwickelte Gehirnhälfte verfügt, lernte damit alle Funktionen eines vollwertigen Gehirns zu nutzen.
Lebendig erzählt Norman Doidge wie der Vater eines bekannten Hirnforschers nach einem Schlaganfall erst wieder Krabbeln, Kriechen, Gehen, Sprechen, alles neu lernen muss wie ein Kind. Nach seiner Genesung nimmt er seine Professur wieder auf und führt bis zu seinem Tod Jahre später ein höchst aktives Leben inklusive Gipfelbesteigungen. Erst bei der Obduktion seines Gehirns wurden schwerste Ausfälle auch im Hirnstamm festgestellt, einem lebensnotwendigem Gehirnteil, dessen Schädigung aller vorherigen Erfahrung nach ein normales Leben ausschließt.
Norman Doidge zeigt in diesem überaus spannend zu lesenden Buch an Hand der Lebensgeschichten zu welch enormen plastischen Veränderungen das Gehirn in der Lage ist. Umgekehrt funktioniert die Neuroplastizität, die strukturellen Veränderungsmöglichkeit des Gehirns, leider auch und leider häufig sichtbar: Der Mangel an Plastizität hängt sehr stark mit der Macht der Gewohnheit zusammen und führt zu geistiger Starrheit, die im Gehirn entsprechend strukturelle Spuren hinterlässt.
Die Konsequenz: unser Gehirn ist nicht für ein ruhiges beschauliches Rentnerdasein gemacht, sondern für stetiges, lebenslanges Lernen und Veränderung. Herausforderungen waren für das Gehirn auch evolutionsgeschichtlich die Grundlage für das Gehirn, das wir heute haben.
Voraussetzung dabei ist die innere Motivation des Gehirnträgers durch die Belohnung, die er sich davon verspricht (z.B. höhere Lebensqualität) und Konzentration auf die Aufgabe: dann lässt sich ein gesundes Gehirn bis ins hohe Alter erhalten, auch zahlreiche im Buch vertretene Neurowissenschaftler sind noch jenseits der 90 hoch aktiv.