Wie Depression und Entzündung zusammenhängen

In der Medizin gilt seit Descartes die Trennung von Körper und Gehirn. Entsprechend sind auch die ärztlichen Fachgebiete für Körper und Psyche strikt getrennt. Psychische Störungen wie Depressionen haben nach dieser Lehre rein gar nichts mit Prozessen im Körper zu tun. Behandelt werden Psyche und Seele von den entsprechenden Therapeuten, aber strikt getrennt.

Nur selten wagt jemand den Blick über das eigene Fachgebiet hinaus. Edward Bullmore hatte sein Aha-Erlebnis noch während seines Medizinstudiums mit einer Patientin, die an rheumatoider Arthritis erkrankt war. In der Anamnese erkannte er, dass sie auch unter Depression litt. Damals wurde nicht in Frage gestellt, dass die Patientin aufgrund ihrer Erkrankung und der damit verbundenen negativen Gedanken über ihre verlorene Lebensqualität depressiv geworden war. Das galt als unbestreitbarer Fakt. Dass es dafür auch körperliche Ursachen geben könnte, war damals keine Frage. Schließlich gab es ja eine klare Trennung von Körper und Gehirn. Die Blut-Hirn-Schranke galt schließlich als eine Art „Berliner Mauer“

Viele Jahre später nach seiner Facharztausbildung für Psychiatrie begann sich der heutige Professor für Neuropsychiatrie für das neu entstehende Fachgebiet der Neuroimmunologie zu interessieren, der sich mit dem Zusammenhang neuronaler Prozesse mit denen der Immunologie beschäftigt. Was wäre, fragte er sich, wenn diese Patientin damals nicht wegen ihrer Gedanken über ihre Situation psychisch krank geworden war, sondern wenn ihre Depression die Folge einer körperlichen Erkrankung in Zusammenhang mit ihrer Arthritis wäre. Was aber sollte die Ursache sein? Von Entzündungen im Gehirn war nichts bekannt, weil mit Entzündungen bekanntermaßen Schwellungen und Rötungen verbunden sind.

In diese Zeit fielen dann neue Erkenntnisse über die Funktionsweise des Immunsystems und dessen Botenstoffe, die Zytokine. Es wurde auch bekannt, dass die Blut-Hirn-Schranke keineswegs völlig dicht ist, sondern dass Zytokine sich ungehindert zwischen Körper und Gehirn bewegen und Informationen über den Entzündungszustand des Körpers an das Gehirn geben. Menschen mit Depression haben messbar erhöhte Zytokinspiegel. Im Gehirn reagieren die Mikroglia als Pendant der Makrophagen des Körpers auf die Entzündungssignale und lösen im Gehirn ebenfalls eine Entzündung aus, die mindestens die Stärke der im Körper bestehenden hat.

Allmählich entstand so ein Bild von dem, was man heute Neuroinflammation nennt, der sog. stillen Entzündung des Gehirns. „Still“, weil diese nicht mit den bekannten Reaktionen auf Entzündungen wie bei einer Schnittverletzung verbunden sind.
Eine Folge davon ist die Verringerung der Wirkung von Neurotransmittern wie Serotonin aus der Aminosäure L-Tryptophan. Durch die Entzündungsprozesse verändert sich der Stoffwechselweg des Tryptophans in entzündungsfördernde Richtung  IDO/ KMO. Damit fehlt außer dem für Wohlbefinden benötigten Serotonin auch das für den Schlaf notwendige Melatonin. Dieses wiederum ist, wie man heute weiß, das wichtigste Antioxidans für die Entgiftung des Gehirns. Fehlt dieses, ist der Weg bereitet für Neurodegeneration. Daher wird heute Depression als Wegbereiter für Demenzerkrankungen betrachtet.

Der Neurowissenschaftler Prof. Edward Bullmore hat ein spannend zu lesendes Buch geschrieben. Man erfährt vereinfacht, wie das Immunsystem funktioniert und welche Kommunikationsprozesse in Körper und zwischen Körper und Gehirn stattfinden. Er beschreibt auch die Entdeckung der SSRI (Serotonin Wideraufnahmehemmer), mit denen bis heute Depressionen vorrangig behandelt werden. Auch 3 Jahrzehnte später scheint die Erkenntnis, dass psychische Störungen sehr häufig mit Entzündungsprozessen verbunden sind, in den Arztpraxen noch nicht angekommen zu sein.

Fazit: Dieses Buch ist spannend und erkenntnisreich für Menschen, denen die Gesundheit ihres Gehirns wichtig ist. Wer sich darüber hinaus weiter informieren möchte, findet dazu über die Quellenhinweise viel Stoff.