Das Thema Anti-Aging, auch Longevity genannt, fasziniert Verbraucher und Wissenschaftler. Was genau sind die Prozesse, die das Altern bestimmen und wie lässt sich dieser hinauszögern? In Umfragen zeigt sich, dass weniger die Lebensdauer als vielmehr die Lebensqualität durch ein gesundes und selbstbestimmtes Leben auch im Alter das Ziel der meisten Menschen ist.
Nach seinem Bestseller „How not to diet“ legt der Arzt Dr. Michael Greger jetzt sein mit über 700 Seiten opulentes Werk „How not to age“ in deutscher Sprache vor.
Der 1.Teil beschäftigt sich mit den wichtigsten Prozessen, die den Vorgang des Alterns beschreiben sowie den Möglichkeiten, mit natürlichen Mitteln dagegen anzugehen.
AMPK (AMP-aktivierte Proteinkinase) ist ein Enzym, das in Zeiten knapper Nahrung die Energiereserven aktiviert indem Körperfett verbrannt wird. Außerdem kann AMPK die Autophagie aktivieren, also das Recycling von fehlgefalteten Proteinen und anderen schadhaften Zellkomponenten. Echter Zellabfall wird dabei entsorgt. AMPK und Autophagie werden durch den Mangel aktiviert. Gibt es keinen Mangel, sondern ein Überangebot an Nahrung, sammelt sich der Zellschrott an und wird zum Entzündungsfaktor. Die Lösung liegt also auf der Hand: Sport, Nahrungsrestriktion und Fasten können AMPK und Autophagie aktivieren.
Die Wachstumsfaktoren mTOR und IGF-1 werden ausführlich in ihrer Wirkung beschrieben: wichtig für Zellaufbau insbesondere in jungen Jahren und mit Risiken beim Älterwerden behaftet, weil auch Krebszellen davon profitieren. Es scheint also sinnvoll, diese aufbauenden Faktoren in ihrer Wirkung zu begrenzen.
Glykation (Verzuckerung von Proteinen) wird ebenso beschrieben wie Oxidationsprozesse, die beide Entzündungsprozesse antreiben.
Insgesamt ist dieser 1.Teil mit rund 180 Seiten sehr lesenswert, wenn es um die Darstellung der stattfindenden Prozesse geht. Auch der 3.Teil, der sich mit dem Funktionserhalt von Organen und Strukturen des Körpers beschäftigt, ist informativ.
Weniger qualifiziert sind aus meiner Sicht die Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen, die sich darauf reduzieren lassen, alle tierischen Produkte wegzulassen und sich rein pflanzlich zu ernähren. Er belegt dies durch passend ausgewählte Studien und erschlägt den Leser allein durch deren schiere Zahl.
Mein Fazit fällt insgesamt negativ aus, weil sich diese Thesen durch das ganze Buch ziehen, die keineswegs so eindeutig wissenschaftlich belegt sind wie es der Autor darstellt.
- Tierische Proteine seien schlecht. Der Autor zitiert eine Vielzahl von Studien, die das zu belegen scheinen. Tatsächlich sind Proteine bzw. die darin enthaltenen Aminosäuren die Grundbausteine des menschlichen Körpers und deren Qualität ist in tierischen Proteinen ungleich höher als in pflanzlichen. Studien, die dies bestätigen, werden nicht einmal erwähnt als sei sich die Wissenschaft hier einig.
Auch Eier sind aus seiner Sicht schlecht. Studien belegen das Gegenteil und sprechen vom „Golden egg“ mit der besten Zusammensetzung an Aminosäuren und der geringsten Stickstofflast.
Überhaupt nicht erwähnt wird die Problematik der Lektine, Schutzstoffe der Hülsenfrüchte gegenüber Fressfeinden. Hülsenfrüchte wären eigentlich recht hochwertig von ihrem Gehalt an Aminosäuren, stellen aber für die Darmschleimhaut eine Herausforderung dar. Bei weit über 90% der Menschen besteht zudem ein Leaky gut, das von ihm nicht erwähnt wird, und das zur Folge hat, dass Fremdstoffe die Darm-Blut-Barriere durchdringen und zu Entzündungsprozessen führen.
Einig ist sich die Wissenschaft nur in dem Punkt, dass eine pflanzenbasierte Ernährung die beste Ernährungsform ist, was aus meiner Sicht aus den darin enthaltenen Ballaststoffen als Nährstoffe für das Darmmikrobiom und den antioxidativ und antientzündlich wirkenden sekundären Pflanzenstoffen herrührt. - Gesättigte Fettsäuren seien schlecht, sie stammen ja überwiegend aus tierischen Produkten. Der aktuelle Stand ist, dass die Oxidation von Fettsäuren das eigentliche Problem darstellt. Tatsächlich aber scheinen mehrfach ungesättigte Fettsäuren z.B. aus Samenölen an ihren Bindungsstellen dafür deutlich anfälliger zu sein als die stabileren gesättigten Fettsäuren wie sie in tierischen Proteinen vorkommen. Klar, im Übermaß sollten diese nicht konsumiert werden.
- Low carb-Ernährung sei schlecht. Die tausendfach in Studien belegte Wirkung der ketogenen Ernährung z.B. bei Neurodegeneration wird nicht einmal gestreift, als existiere sie gar nicht. Kontraindiziert war dies bisher bei schweren Nierenerkrankungen, eine sehr neue Studie belegt hingegen auch hier die positiven Wirkungen durch den sehr begrenzten Anteil an Proteinen.
- Nahrungsergänzungen seien schlecht, könnten schaden und im besten Fall wirkungslos. Sowohl Studien als auch individuelle Laborwerte beweisen aber das Gegenteil.
Insgesamt scheint es, als sei der Autor mit dem Auftrag unterwegs, vegane pflanzliche Ernährung zu proklamieren. Gut an dem Buch ist die Darstellung der Prozesse, zur Umsetzung ist es aus meiner Sicht durch die einseitige Darstellung allerdings nicht geeignet.