Dicker Bauch, dünnes Gehirn

WunderweltMit der Entwicklung des aufrechten Ganges und der Verbreitung des Menschen über die gesamte Erde entwickelte sich auch die Größe des menschlichen Gehirns. Unsere Gene sind immer noch die  von vor zig Tausend Jahren. Unsere aktuelle Nahrung und die Umweltbedingungen wirken auf die Gene, darauf, ob und wie diese sich ausdrücken. Jeder Mensch ist dabei einzigartig durch seine individuelle Ausprägung dieser uralten Gene. Die Ernährung beispielsweise veränderte über viele Generationen die Hautfarbe als Anpassungsprozess an die unterschiedlichen Umwelt- und Klimabedingungen. In die nördlichen Länder ausgewanderte Menschen haben im Laufe ihrer Wanderbewegung über viele Generationen eine helle Haut bekommen, weil sie sehr viel weniger intensiv dem Sonnenlicht ausgesetzt sind und mit ihrer ursprünglich dunklen Haut zu wenig Vitamin D produzieren würden.

Solche Veränderungen finden jedoch über viele Generationen und sehr lange Zeiträume statt, eine Anpassung z.B. an moderne Ernährungsgewohnheiten oder völlig andere klimatische Bedingungen kann der menschliche Körper nicht im Laufe eines Lebens nachvollziehen. Die Kenntnis dessen, was unsere ursprünglichen Gene ausmacht und wie sie zum Ausdruck kommen, ist daher aus Sicht des Evolutionsbiologen und Arztes Dr. Sharad P. Paul essenziell, um zu verstehen, weshalb Gesundheit oder Krankheit entsteht und welche unterschiedliche Wirkungen gleiche Substanzen dabei auf unterschiedliche Menschen haben.

Er beschreibt u.a. die die Bedeutung des sog. dopaminergen System. Dopamin motiviert zu persönlichem Wachstum und zur Verbesserung der Lebensqualität, somit ein treibender Faktor in der Entwicklung des Menschen. Dopamin entsteht vor allem in Verbindung mit körperlicher Bewegung, jeder Spitzensportler kennt diese Sucht nach dem nächsten Dopamin-Kick. Bewegung steht evolutionär in direkter Verbindung mit der Entwicklung des aufrechten Ganges und der dadurch ermöglichten Verbreitung der Menschen über die gesamte Welt. Nicht vorgesehen war in der Evolution, dass dieses System auch mit Kaffee und Drogen zufriedengestellt werden und dann gerne auch alles Andere, was Entwicklung ausmacht, verzichten kann.

Dr.Paul beschreibt ausführlich, welche Lebensweise unsere Gene für uns vorgesehen haben. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns war maßgeblich bestimmt durch ausdauernde Bewegung. Diese führt zur Produktion eines speziellen Wachstumsfaktors (BDNF) ebenso wie einige durch Bewegung aktivierte Enzyme die Zahl der Mitochondrien beeinflussen, die sog. Zellkraftwerke in den Zellen, die für die zur Verfügung stehende Energie verantwortlich sind. Zu wenig Bewegung vor allem der Beine führt nach neuesten Erkenntnissen nicht nur zu einem dicken Bauch, sondern auch zu einem dünnen Gehirn. Der Abbau von Gehirnsubstanz steht in direkter Verbindung mit dem Abbau des Gehirns und hat wenig mit dem zu tun, was wir für den Alterungsprozess halten.

Wie Trägheit unserem Gehirn schadet, so tut dies auch Stress, ursprünglich ein das Überleben sicherndes Programm, das auf eine aktuelle Gefahr mit Furcht reagiert. Häufig entsteht daraus ein generelles Angstgefühl mit dem Ziel, ähnliche Gefahren vorausschauend zu erkennen und zu verhindern. Daraus entsteht dann eine chronische Stressbelastung. Welche Stressantworten sich entwickeln, wird auf Basis der frühesten kindlichen Erfahrungen festgelegt, sie sind damit höchst individuell. Sie beeinflussen Gene und Hormone und führen u.a. zu einer ggf. dauerhaften Anhebung des Cortisolspiegels und zu einer Senkung der für das Wohlbefinden zuständigen Neurotransmitter Dopamin und Serotonin.

Dieses spannend zu lesende Sachbuch macht jedem Laien verständlich, wie sich in Abhängigkeit zur genetischen Grundausstattung und deren Varianten unterschiedliche Reaktionen auf Umwelt und Lebensbedingungen erklären lassen. An einem jedoch lässt der Autor keinen Zweifel: Wenig Bewegung führt nicht nur zu einem dicken Bauch, sondern auch zu höchst unerfreulichen Abbauerscheinungen im Gehirn, zu einem dünnen Gehirn.