Wie die Psyche das Immunsystem beeinflusst

Stress führt zur Reaktion des Immunsystems, indem es eine Entzündung im Körper verursacht. Dabei spielt es keine Rolle, ob der auslösende Faktor psychischer Stress oder Angst ist, eine Verletzung oder ein Virus. Die ausgelöste Entzündungsreaktion ist mit der Ausschüttung von Zytokinen ein höchst effizientes System des Körpers mit Störungen jeder Art umzugehen und das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen. Das Immunsystem macht in der Entzündungsreaktion vom Grundprinzip keinen Unterschied zwischen einem Ehestreit und einem Virus: ein Cocktail von Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol wird ausgeschüttet. 

Das ist kein Problem, weil das Immunsystem dafür eingerichtet ist. Problematisch wird es allerdings, wenn das Immunsystem durch Dauerstress bereits überlastet ist, denn die Aufgabe des Cortisols ist es, die zeitlich begrenzte Reaktion wieder herunterzufahren. Hält der Stress an, bleibt der Cortisolspiegel auf zu hohem Niveau, was dazu führt, dass das Immunsystem dauerhaft herunterreguliert wird (darauf basiert auch die Wirkung von Cortisonpräparaten). Das Auftreten von Infektionen und Allergien ist eine Folge davon, auch Autoimmunerkrankungen und Krebs werden davon beeinflusst. Stress, Angst und Panik schwächen daher durch den hohen Cortisolspiegel das Immunsystem und erhöhen die Anfälligkeit für Erkrankungen aller Art.

Messen lässt sich die Belastung des Immunsystems über das Stresshormon Cortisol und das Immunstoffwechselprodukt Neopterin. Steigt Neopterin an, ist das ein Zeichen für die Stärkung der Immunabwehr, bei gesunden Personen messbar über einen längeren Zeitraum nach erfreulichen, zwischenmenschlichen oder anderen emotional positiven Erlebnissen. Auch die Schnelligkeit der Wundheilung, so zeigten Studien, ist ein Indikator für die Wirksamkeit des Immunsystems.

Seit 20 Jahren erforscht der Arzt, Psychologe und Psychotherapeut Prof. Dr.Dr. Christian Schubert die Wechselwirkungen von Psyche, Gehirn und Immunsystem. Er erläutert leicht verständlich die Entstehung und Wirkungsweise des oder, besser gesagt, der beiden Immunsysteme im menschlichen Körper.

Es gibt nämlich zwei miteinander verknüpfte und, beim gesunden Menschen, ausbalancierte Systeme von sog. T-Helferzellen, wovon der Typ TH-1 für die Immunabwehr innerhalb der Zelle z.B. von Viren bestimmt ist. Wenn beide Systeme ausbalanciert sind und je nachdem, ob der Erreger innerhalb der Zelle (Viren) oder außerhalb (Parasiten) seine Wirkung erzielt, wird das dafür zuständige System aktiviert. Das Gleichgewicht kippt bei anhaltendem Stress durch den dauerhaft hohen Cortisolspiegel. Damit wird dann genau das System TH-1 unterdrückt, das für die Abwehr von Viren benötigt wird. Eine gegenüber Viren geschwächte Immunabwehr ist ein Ungleichgewicht zu Lasten des TH-1.

Ein separates Kapitel beschäftigt sich mit der frühkindlichen Entwicklung des Immunsystems. Pränatal nimmt der Stress der Mutter zu einem bestimmten Zeitpunkt Einfluss darauf, ob sich die beiden Systeme im Gleichgewicht entwickeln. Auch in späteren Jahren bleibt Stress der entscheidende Faktor, ob und wie weit sich krankhafte Veränderungen entwickeln können. Erwähnt werden die zahlreichen Studien, wonach sich das System mit Achtsamkeit und Meditation bzw. über positive zwischenmenschliche Kontakte in Richtung Gesundheit regenerieren kann.

Fazit: Für mich ist es das derzeit beste Sachbuch zum Thema Immunsystem, das ich kenne. Es erklärt, weshalb manche Menschen mit heftigeren Krankheitsverläufen auf Viren reagieren als Andere und weshalb die modernen chronischen Erkrankungen so weit verbreitet sind. Das Buch erschien übrigens 2016, also lange vor der aktuellen Pandemie. Unbedingt lesen!