Wie optimistische Überzeugungen im Körper wirken

Die Ärztin Lissa Rankin wurde in ihrer Arbeit immer wieder von unerklärlichen Selbstheilungen scheinbar unheilbar kranker Menschen überrascht. Aus wissenschaftlicher Neugier und Interesse, auch an einer Heilung ihrer eigenen Erkrankung, untersuchte sie während einer Auszeit solche sog. Spontanremissionen und insbesondere den Placebo-Effekt. In der Medizin werden Placebos verächtlich betrachtet, denn sie sollten eigentlich gar keine Wirkung entfalten, weil sie keinen Wirkstoff enthalten. Für die Zulassung eines Medikamentes muss dessen Wirkung stärker sein als eine in der Kontrollgruppe verabreichte Placebo-Substanz ohne diesen Wirkstoff. Häufig erlebte sie aber die Heilung von Patienten mit Substanzen oder Verfahren, die nach wissenschaftlicher Evidenz keine Wirkung haben sollten und daher als Placebo betrachtet werden.

Sie begann die Mechanismen hinter dem Placebo-Effekt zu erforschen und erkannte die epigenetischen Wirkmechanismen, die auch heute noch weithin unbekannt sind. Unter Epigenetik versteht man alle Einflussfaktoren aus unserer Umwelt, die unsere Gene regulieren und so auf Gesundheit und Krankheit Einfluss nehmen. Dazu gehören neben Lebensstilfaktoren wie Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte und Schlaf auch das Denken und unsere Überzeugungen über uns selbst und unsere Beziehung zu anderen Menschen. Überzeugungen werden in frühester Kindheit geprägt und wirken wie eine Art selbsterfüllende Prophezeiung. „Alte Menschen werden krank und gehen am Stock“. „Meine Mutter hatte schon Arthrose, also bekomme ich auch welche“. Aus diesen Gedankenmustern werden Verhaltensmuster, die zu biochemischen Prozessen im Körper führen. Tatsächlich ist aus der Zwillingsforschung längst bekannt, wie unterschiedlich Gesundheit und Lebenserwartung selbst bei eineiigen Zwillingen im Laufe des Lebens aussehen können.

Wir sind nicht unsere Gene, denn unsere Gedanken und die damit verbundenen Emotionen können gesundheitsfördernde Gene an- oder abschalten. Unser Leben entsteht zu 95% aus dem Unbewussten über fest einprogrammierte Programme, die ihre Wurzeln pränatal oder in den ersten Lebensjahren haben. Die damals für ein hilfloses Lebewesen vielleicht richtigen Gedanken und Emotionen müssen aber heute nicht mehr zwangsläufig sinnvoll sein, häufig sind sie zumindest wenig hilfreich. Sie erzeugen gedanklichen und emotionalen Stress, der in biochemische körperliche Vorgänge übersetzt wird. Erfahren wir unser Leben als bedrohlich und unkontrollierbar, werden im Gehirn die dazu passenden Substanzen in Form der Neurotransmitter ausgeschüttet. Die Kontrolle übernimmt dann das sympathische Nervensystem. In diesem Zustand sind Heilungsprozesse nicht möglich, auch das Immunsystem kann nicht agieren und Verdauungs- und Wachstumsprozesse werden gestoppt. Evolutionsgeschichtlich macht das Sinn, denn wozu sollte ein Körper das Immunsystem gegen Krebszellen oder Viren aktivieren, wenn er im nächsten Moment vom Löwen aufgefressen wird? Hier war nur das nackte Überleben entscheidend, also die Stressreaktion in Form von Kampf, Flucht oder Unterwerfung.

Aber nicht nur die eigene Einstellung spielt eine wichtige Rolle, sondern auch die des behandelnden Therapeuten, denn es gibt nicht nur den Placebo-Effekt, sondern auch den Nocebo-Effekt. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen Aussagen wie „Weihnachten erleben Sie nicht mehr“ zum Tode von Patienten führten.
Für Heilungsprozesse und eine Balance des Immunsystems ist ein Zustand der körperlichen Entspannung und Zufriedenheit erforderlich und eine Geisteshaltung, die von Hoffnung und Optimismus geprägt ist. Dann wird der Parasympathikus eingeschaltet und die entsprechenden Hormone und Neurotransmitter ausgeschüttet. Leider sind die früh gelernten automatischen Denkmuster bei allen Menschen sehr stark und leider sind sie häufig negativer Natur. Sie ziehen dann ebensolche Emotionen und damit auch biochemische körperliche Folgen nach sich. Es bedarf daher einer sehr achtsamen Beobachtung und Kontrolle des eigenen Denkens.

Lissa Rankin hat neben einer beeindruckenden Schilderung der epigenetischen Prozesse in leicht lesbarer Form auch selbst erprobte Konzepte formuliert. Das Buch ist seit seinem Erscheinen vor einigen Jahren nicht nur in den USA ein Bestseller. Es enthält mit dem Konzept zur „radikalen Selbstfürsorge“ umfangreiche Anleitungen zur Selbstbehandlung. Wer sich selbst in einen guten Zustand bringt, kann dann aus voller Kraft auch etwas für Andere tun.